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Es ist wieder Sonntag!

Und damit Zeit für neue Management-Spitzen!

Hier die Ausgabe Nr. 2 – dieses Mal von Gastautorin Julie Richter. Sie hat langjährige Berufserfahrung als Personalleiterin und lebt heute als Personalberaterin in der Nähe von Berlin.

Viel Vergnügen!

Management-Spitzen Nr. 2: Der Sprechzettel

Schreiber saß in seinem Büro und hielt kurz inne. Heute war sein großer Tag. Sein Chef hatte ihn zum Gespräch gebeten und Schreiber war sich ganz sicher: Bald würde er ganz oben ankommen.

Er war hoch intelligent, erkannte blitzschnell, was zu tun war und setzte ebenso schnell um. Manchmal blieb dabei das eine oder andere auf der Strecke, aber Geschwindigkeit ging eben vor Genauigkeit.

Seine riesige Abteilung hatte er so aufgestellt, dass zwischen den einzelnen Bereichen viele Schnittstellen entstanden waren. So liefen alle gegeneinander und er konnte sicher sein, alle würden sich anstrengen ihm zu beweisen, dass sie diejenigen waren, die die entsprechenden Aufgaben am besten lösen konnten. Und das rund um die Uhr. Sicher würde er das nie verlangen – in Deutschland gab es schließlich Gesetze – aber der „Spirit“, den er seinen Auserwählten vermittelte, legte nahe, allzeit flexibel und erreichbar zu sein. Wozu gab es schließlich die moderne Technik? Die karriereorientierten jungen Frauen mussten ja schließlich die Möglichkeit haben, nachts nachzuarbeiten, was sie nachmittags wegen der Betreuung der Kinder versäumten. Da konnte es schon mal 1 Uhr morgens werden, um die letzte Mail zu schicken. Schreiber war zufrieden.

Er war etwas klein und neigte dazu, dieses aus seiner Sicht bestehende Manko durch allzu deutliche Ansagen in seinen Meetings zu kompensieren. Widerspruch duldete er nicht und er ließ es zu, dass Menschen für ihn arbeiteten, die ihm nicht das Wasser reichen konnten und schon deshalb nicht widersprachen.

Schreiber stand kurz auf und sah aus dem Fenster. Das alles war höchst erfreulich für ihn gelaufen und das Beste war, dass er auf eine ganz subtile Art letztlich das gesamte Unternehmen im Griff hatte.

Die Vorstände hatte er ruhig gestellt, in dem er jedem von ihnen einen höchst persönlichen Ansprechpartner zur Seite gestellt hatte, der nichts weiter tat, als dessen Wünsche und Gedanken aufzunehmen und für Erledigung zu sorgen. Er, Schreiber, wusste auf diese Weise immer, was so vorging und die Vorstände waren zufrieden ob der exzellenten Aufmerksamkeit.

Noch genialer war jedoch die Idee, mit den „Sprechzetteln“. Um welches Führungsthema es sich auch handelte, immer stellte er mit seinem Team eine Regieanweisung zur Verfügung. Jeder Vorgesetzte wusste, was er wann zu tun oder zu sagen hatte, wenn er mit seinen Mitarbeitern sprechen musste. Er, Schreiber, hatte ihnen mundgerecht serviert, was viele ohnehin nur lästig fanden: Was sage ich meinem Mitarbeiter und wie. Nun mussten sie gar nicht mehr nachdenken. Seine Zettel mit dem orangefarbenen aufstrebenden Pfeil in der rechten oberen Ecke waren das Rundum-Sorglos-Paket für alle Führungskräfte. Wenn man sich daran hielt, konnte nichts schief gehen und er hatte alles im Griff. Schreiber fühlte sich fast schon euphorisch ob seiner Erfolgsgeschichte. Was würde Kunze, sein Chef, ihm wohl Tolles in Aussicht stellen?

Er stand auf, rückte die Krawatte zurecht und zog die Hose etwas höher. Dann betrat er pünktlich zum Termin Kunzes Büro. Kunze winkte ihn heran, begrüßte ihn und bot ihm Platz an. Auf dem Schreibtisch lag eine braune Mappe. Kunze schlug sie auf und mit einem kurzen Blick erkannte Schreiber auf dem Blatt den orangefarbenen Pfeil in der rechten oberen Ecke.

(Personen und Handlung sind frei erfunden.)

Management-Spitzen Nr. 2: Der Sprechzettel als PDF-Dokument